Fit Für den Beruf – Gesundheit

Ein Interview mit Jan Schiborr, dem leitenden Psychologen der Mediclin Seepark Klinik. Jan Schiborr ist der therapeutische Leiter des Zentrums für Kinder-, Jugend- und Familientherapie.

Was sind die Ursachen für Magersucht?

Jan Schiborr: Anorexie finden wir eher in Familien, in denen Leistung und gesellschaftliche Normen überbewertet werden. Die Patienten übernehmen diese Normen im Zuge einer nicht gelungenen Autonomie-Entwicklung. Die Gesellschaft hat ein Idealbild für Männer und Frauen, das die Betroffenen versuchen zu erfüllen. Oft handelt es sich um Jugendliche mit hoher Leistungsbereitschaft und einer perfektionistischen Grundeinstellung. Genauso kann der Auslöser eine begonnene Diät sein: Die Betroffenen werden aufs Abnehmen angesprochen, sie erhalten viel Zuwendung bzw. Lob – und das Ganze entwickelt eine Eigendynamik. 

Berufe in der Klinik

Die Mediclin Seepark Klinik in Bad Bodenteich hat sich auf die Behandlung von Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen spezialisiert.

Das Abnehmen wird zur Sucht und das Essverhalten stetig eingeschränkter. Oft handelt es sich aber auch um eine depressive Symptomatik, die von der Essstörung überlagert wird. Das subjektive Erleben, etwas erreicht zu haben, wenn das Gewicht Woche für Woche sinkt, verdrängt dann die negativ erlebten Gefühle.

Wie behandeln Sie Ihre jungen Patienten?

Jan Schiborr: Die Therapie umfasst drei Grundbausteine - Das esstherapeutische, das psychotherapeutische und das bewegungstherapeutische Setting.

Was versteht man unter esstherapeutischem Setting?

Jan Schiborr: Die Patienten geben in der Klinik die Verantwortung für ihr Essverhalten komplett ab. Sie müssen es von Grund auf neu erlernen. Viele haben ja nur noch 200 bis 300 Kilokalorien pro Tag zu sich genommen, aus Angst, zuzunehmen. Bei uns stehen drei Hauptmahlzeiten und zwei Zwischenmahlzeiten auf dem Plan mit dem Ziel, jede Woche 500 bis 1.000 Gramm zuzunehmen. Wir sprechen von „betreutem Essen“. Es beginnt mit dem Tellerservice: Die Patienten wählen ein Gericht aus und erhalten es fertig portioniert auf dem Teller. Innerhalb von 30 Minuten soll der Teller leer sein. Ergänzend gibt es ein „Löffeltraining“. 


Berufe im Gesundheitssektor

Die Patienten erhalten ein portioniertes Tellergericht und geben die Verantwortung über ihr Essverhalten erst einmal ab.

Dabei lernen sie zu portionieren: Wie voll mache ich einen Löffel, wie viel kommt auf einen Teller? Sie haben den Bezug dazu verloren und wären deswegen am Buffet erst einmal völlig überfordert. Stufenweise erhalten sie immer mehr Verantwortung für ihr Essen zurück. Am Ende ihres Aufenthaltes sollten sie es schaffen, sich am Buffet eine normale Portion zu nehmen. Ein weiterer Therapiebestandteil ist das Einkaufs-Training.

Wie läuft das Einkaufstraining ab?

Jan Schiborr: Wir gehen mit den Patienten in den Supermarkt, denn auch ihr Einkaufsverhalten müssen sie neu lernen. Es fällt ihnen schwer, kalorienreiche und damit angstbesetzte Lebensmittel in den Einkaufskorb zu legen. Die essgestörten Gedanken gehen so weit, dass die Betroffenen glauben, bereits das Berühren von Lebensmitteln führe zu einer Gewichtszunahme. Doch ein normaler Umgang mit Lebensmitteln beginnt mit dem Einkaufen. Ich muss mich trauen, Sahne zu kaufen, um zuhause damit kochen zu können.

Welchen Stellenwert hat Bewegung bei der Therapie?

Jan Schiborr: In den ersten zwei Wochen dürfen Patienten mit Bulimie oder Anorexie in der Regel keinen Sport treiben, manche nicht einmal die Treppe benutzen. Bei ihrer Krankheit spielt Bewegungsdrang eine große Rolle: Wenn sie normal essen, bewegen sie sich zu viel, um ihr schlechtes Gewissen bezüglich der aufgenommenen Kalorien abzubauen. Deswegen müssen sie erst wieder ein normales Maß an Bewegung lernen, das abgekoppelt ist von den Themen Kalorien und Gewicht.

Was ist das Ziel der begleitenden Psychotherapie?

Jan Schiborr: Eine Essstörung ist wie ein Eisberg: Ein Drittel ist sichtbar, zwei Drittel liegen unter Wasser. Wir versuchen, die Themen, über die sich die Essstörung aufgebaut hat, zu ergründen und zu bearbeiten. Dazu sind die Patienten zwei- bis dreimal pro Woche in einer Gruppentherapie und erhalten auch Einzelgespräche. Dazu kommen weitere Therapiebausteine wie Ergo-, Kunst- und Musiktherapie, Entspannungstraining, therapeutisches Reiten sowie therapeutische Freizeitangebote wie eine Theatergruppe oder kreatives Schreiben.

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